HINTERGRUND | ||||
Neue EU-Regularien zwingen Autohersteller zu Auseinandersetzung mit CRM und Vertriebssteuerung Dr. Helbig & Partner: Autoproduzenten müssen sich am Markt neu positionieren Die bisherigen EU-Regelungen erlaubten den europäischen Autoherstellern ihre Händlernetze zu steuern und den Wettbewerb durch Exklusiv-Verkaufsverträge zu reglementieren. Die neuen EU-Richtlinien ab 2003 lösen den Zugriff der Hersteller auf die Händler und lassen Wettbewerb zu. Um weiterhin die Marktanteile zu sichern, müssen die Autohersteller die Neuorganisation der Vertriebskanäle vornehmen, Steuerungsinstrumente zur Erhöhung der Vertriebsleistungen implementieren und Kundenbindungsinstrumente durch konsequentes Lead-Management ausbauen. Die neuen EU-Regelungen haben zum Ziel, den Wettbewerb bei Verkauf, Dienstleistung und Ersatzteilhandel zu erhöhen. Die Verbraucher werden durch attraktive Preise, eine größere Auswahl bei Händlern, Service und Ersatzteilkauf profitieren können. Der Preisdruck beim Autoverkauf und im hochprofitablen after-sales-Markt wird steigen. Die Hersteller werden gezwungen sein, sinkende Margen durch höhere Leistungsfähigkeit ihrer Vertriebsorganisationen zu kompensieren. In den letzten Jahrzehnten wurde im Automarkt mit hohen Investitionen ein dichtes, integriertes Verkaufs- und Service-Netz aufgebaut. Die EU-Regularien erlaubten den Autoproduzenten, exklusive Händlerverträge mit festen Vertriebsgebieten abzuschließen. Das garantierte sichere Standards und Leistungskriterien wie z.B. Design der Verkaufsräume, Verkaufsschulungen, Serviceangeboten und Definition von Vertriebszielen. Den Vertragshändlern war es nicht erlaubt, Autos anderer Marken zu verkaufen oder an Wiederverkäufer weiterzugeben. Auch Service und Ersatzteilhandel waren durch das Zertifikat des autorisierten Fachhändlers, Serviceinformationen und Personaltraining reglementiert. Eine integrierte Automobil-Wertschöpfungskette mit begrenztem Wettbewerb für Händler und Auto-Produzenten gleichermaßen war die Folge. Der regulierte Markt kompensierte die geringen Margen beim Autoverkauf durch hohe Erlöse durch Reparaturen und Services. Dadurch fehlte der Änderungsdruck, die Vertriebskanäle zu modernisieren. Kundebindungsstrategien gab es kaum, stattdessen wurden die Marken ausgebaut, die Produktpalette erweitert und die Produktivität der Produktion erhöht. Deregulierung ändert Marktbedingungen Die EU-Marktderegulierung, die im Juli 2002 begann und im Oktober 2003 am Markt komplett durchgesetzt sein wird, wird den Wettbewerb im europäischen Automarkt erhöhen. Die Hersteller werden sinkende Preise für Autos und Ersatzteile hinnehmen müssen, bei gleichzeitigem Zwang zu erhöhten Serviceleistungen. Autohersteller können ab sofort nicht nur an Vertragshändler, sondern an jeden Händler europaweit verkauft. So werden zusätzlich zu Vertragshändlern mehr Autos über mehr Händler verkauft. Das Resultat wird sein, dass die sinkende Marge dem Händler nicht mehr erlauben, teure Verkaufsräume und eine hochkarätige Verkaufsmannschaft zu unterhalten. Es wird alles etwas bescheidener sein und Autohersteller fürchten um die Verwässerung ihrer Marken. Die meisten Hersteller werden sich bei Händlerverträgen künftig eher für Selektivität statt Exklusivität entscheiden, um den nicht autorisierten Handel zu steuern. Da die Händler frei und europaweit handeln können und ab 2005 auch neue Verkaufsstellen eröffnen können, wird der Händlerwettbewerb innerhalb der Händler einer Marke zunehmen. Die Erlaubnis für Händler, Autos verschiedener Marken zu verkaufen wird angesichts der Markenvielfalt den Wettbewerb zwischen den Marken bei den Händlern erhöhen. Die Autohersteller werden auf abgetrennten Verkaufsflächen und eigenem Verkaufspersonal bestehen. Es ist den Herstellern künftig auch nicht mehr erlaubt, den Handel der Autos zu limitieren, um den europaweiten Handel über die Grenzen hinweg zu ermöglichen. Im Ersatzteil- und Service-Markt werden künftig nicht mehr so hohe Margen durch die Hersteller erwirtschaftet wie in der Vergangenheit, da jetzt die Wertschöpfungskette zusammengebrochen ist. Autohändler werden daher eigene Services anbieten oder den Service komplett auslagern, wobei die Hersteller jedem freien Händler die technischen Informationen zur Verfügung stellen müssen, was wiederum den Wettbewerb erhöht. Die Ersatzteilerlieferanten werden nicht länger gezwungen sein, nur die hochpreisigen Originalersatzteile der Hersteller zu verkaufen. Die Konsumenten profitieren durch niedrigere Preise und werden stärker umworben werden. Ebenso die Ersatzteillieferanten, können sie doch die Servicehändler direkt beliefern, ohne die Marge mit den Herstellern teilen zu müssen. Auf jeden Fall werden die Händler eine intensivere Beziehung zu Kunden und Herstellern entwickeln als je zuvor. Die Autohersteller sind in diesem Szenario besonders gefährdet durch sinkende Autopreise und sinkende Margen im Ersatzteil- und Servicemarkt. Hier besteht ein sofortiger Handlungsdruck für die Hersteller, durch effiziente CRM-Systeme den Kunden an die Marke zu binden. Dies geschieht sowohl direkt als auch über die nun entstehenden neuen Händlerstrukturen am Markt. Erfolgreiche Strategien im neuen Markt Wie sehen die Möglichkeiten der Reaktion aus? Die Autohersteller können sich die reine Autoproduktion beschränken, Händlerkooperationen eingehen und ausbauen oder als Vertriebsweg ein Franchisesystem wählen. Die Hersteller können durch Neuaufbau einer ausgeweiteten Dienstleistungskompetenz erstmals eine direkte Kundenbindung aufbauen. Dr. Helbig & Partner ist überzeugt, dass die Autohersteller neue Marktstrategien und Wachstumspotenziale definieren müssen, um sich zwischen den verschiedenen Strategien für die Richtige zu entscheiden. Wir sehen die Leistungssteigerung und Neuausrichtung des Vertriebssystems als unerlässliche Voraussetzung für den Erfolg aller Strategien an. Herstellerkompetenz Autohersteller konzentrieren sich nur auf die Autoproduktion, bieten eine breite Palette preislich wettbewerbsfähiger Autos, um angemessene Margen zu erhalten. Dazu ist eine Optimierung der Kostenstruktur für Produktion und Vertrieb notwendig. Neben dem Ausbau der Vertriebskanäle werden attraktive Angebote in Händlerhäusern mit vielen Marken (Sonderangebotsaktionen, preiswertere Serviceangebote, „Rundum-Sorglos“-Pakete), Angebote in Supermärkten, anderen Großverkaufsflächen und im Internet folgen. Das Supermarktprinzip, das den Verbrauchern alle Marken zu attraktiven Preisen bietet und die wachsende Zahl der Nachfrager, die ein Auto im Supermarkt kaufen, werden an Bedeutung gewinnen. Dazu wird die Bestellung über das Internet direkt beim Hersteller zunehmen. Die Entwicklung zum Produktspezialisten scheuen die Hersteller bisher, aus Angst die Automarke zu beschädigen. Der First Mover zu sein birgt die Gefahr des Scheiterns. Doch mit diesem Risiko beim Aufbau einer neuen Vertriebsstruktur sind auch unschätzbare Vorteile verbunden: Das außergewöhnliche Presseecho für den Marktstarter, das einen hohen Aufmerksamkeitswert bei den Käufern erzeugt und die Aussicht, sich frühzeitig einen signifikanten Marktanteil im Preiswert-Marktsegment zu sichern. Mittels effektiver CRM-Systeme muss die Vertriebssteuerung der Autoproduzenten eine intensive Analyse der Käuferwünsche ermitteln, um den Markt über die verschiedenen Vertriebskanäle schnell, preisgünstig und mit Sonderverkaufsaktionen zu bedienen. Integration des Händlernetzes Autohersteller werden versuchen, neue Händler zu akquirieren, um die Kontrolle über das Händlernetz in ausgewählten Marktbereichen zu erhalten und um hohe Margen und Marktanteile im Ersatzteil- und Service-Markt zu sichern. Ein Vorteil ist, dass die Hersteller auf ihre Markterfahrung zurückgreifen können und die Chance haben, die Premium-Märkte vor dem Niedrigpreissektor besser zu schützen. Die Neuausrichtung des Händlernetzes bedeutet die Kostenverteilung für Werbung, IT-Infrastruktur und Vertriebsadministration auf eine große Zahl von Verkaufsstellen. Tendenziell werden nur die größten Händler am Markt bestehen können, was wiederum die Kosten senken wird. Hier muss sichergestellt werden, dass die Vertriebsleistungen durch übergreifende Bewertungskriterien messbarer gemacht werden müssen. Erst durch die Einführung kennzahlenorientierter Zielmanagement-Systeme werden der Vertrieb und alle seine Vertriebskanäle effektiv gesteuert werden können. Der Erfolg liegt in der effizienten Führung der Händler durch die Hersteller, die immer mehr unabhängige unternehmerische Initiativen entwickeln werden. Daher müssen Vertriebssteuerungs- und Anreizsysteme entwickelt werden. Voraussetzung ist die Gleichbehandlung der Händler, um Konflikte unter den Händlern zu vermeiden, sowohl bei Preisen als auch in der Vertriebsunterstützung. Bei dieser Strategie spielt die möglichst langjährige Kundenbindung eine große Rolle. Konsequentes Lead-Management wird Umsatzsteigerungen generieren. Ohne diese Erfolgssteuerung ist das große Investment der Hersteller nicht so schnell zu refinanzieren. Neben den traditionellen Händlerstrukturen wird der Vertriebskanal „Grüne-Wiese“-Händler im Umkreis großer Städte ausgebaut, die das Niedrigpreismarktsegment bedienen werden. Der effiziente Mix der verschiedenen Vertriebskanäle in jeder Region wird die Kunst sein, um als Hersteller alle Käufersegmente optimal zu bedienen. Diese Strategie werden Hersteller der Premium-Marken bevorzugen, da sie die Markenerfahrung mitbringen und die hohen Margen ihrer Produkte, die keine Massenprodukte sind, erhalten möchten. Das Betreiben eines großen Händlernetzes erfordert einen hohen Kapitalaufwand. Dazu kommt der Aufwand für eine M&A-Abteilung und Vertriebsunterstützung. Es wird auch zu Minderheits-Kapitalbeteiligungen der Hersteller an großen Händlern kommen. Franchise Partnerschaften Eine andere Erfolg versprechende Strategie wird die der Franchise-Partnerschaften werden. Viele Hersteller werden diese Strategie wählen, erspart es ihnen doch hohe Investitionen in ihr eigenes Händlernetz. Entscheidend ist, dass die Hersteller ihre Margen erhalten oder ausbauen, aber trotzdem das Kostenmanagement nicht aus dem Auge zu verlieren. Damit erhalten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und können die zu erwartenden Verluste im Ersatzteil- und Service-Markt kompensieren. Diese Hersteller scheuen den finanziellen Aufwand, ein Händlernetz aufzubauen, aber sie werden einen ähnlichen Ausbau der Vertriebskanäle erreichen können, allerdings ohne die Kontrolle durch Beteiligungen realisieren zu müssen. Hier werden je nach Region und Bevölkerungsdichte entweder Großverkaufsflächen mit mehreren Marken (in Kleinstädten z.B.) oder Markenshops in Großstädten zur Imagepflege etabliert werden. Das heißt, bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl der Händler muss es gelingen, die richtigen Händler bzw. Händlertypen am richtigen Ort zu etablieren, denn der richtige Mix macht den Erfolg aus! Die Händlerleistung kann gesteigert werden durch ein Netz standardisierter und zentraler Schulungsprogramme, Trainings- und Marketingprogramme genauso wie durch Co-Marketing-Programme mit ausgewählten Händlern. Dazu kommen auch hier ein CRM-System und ein darauf aufgesetztes Vertriebssteuerungstool, das kontinuierlich den Vertriebserfolg überwacht und antreibt. Der Kunde wird in seinen Bedürfnissen besser angesprochen werden, denn das CRM-System erstellt Kundenprofile und kundenspezifische Angebote, ein effektives Lead-Management wird weitere Umsatzsteigerungen generieren. Diese Strategie führt dazu, dass die Hersteller in eine Abhängigkeit von ihren Franchise-Partner geraten, da sie die Partner weniger kontrollieren können. Daher hat diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen und der Erfolg hängt davon ab, inwieweit die Hersteller die Franchise-Partner an sich binden können. Aufbau einer Dienstleistungskompetenz Autohersteller werden besonders gefordert sein, wenn sie sich entscheiden, den Kunden als „ihren“ Kunden zu begreifen. In der Vergangenheit wurden die Kundennachfrage und seine Service-Bedürfnisse über die Händleranfrage dem Produzenten kommuniziert. Das kann künftig nicht mehr so bleiben. Wenn sich ein Autohersteller entschließt, sich um „seinen“ Kunden selbst zu kümmern, kommt das einer vollständigen Änderung der Unternehmenskultur gleich. Der Autoproduzent wird dazu noch Dienstleister! Das bedeutet Change Management im Autounternehmen über alle Hierarchieebenen hinweg, was zu einer Änderung der Unternehmenskultur führen wird. Er wird als Dienstleister nur erfolgreich sein, wenn er sich wie ein modernes Serviceunternehmen verhält. Die Erfassung der Kundendaten ist entscheidend, über intensive Kundenbefragung müssen die Kundenpräferenzen ermittelt werden, sie gelangen so ungefiltert, nicht über den Händler zum Produzenten. Der Hersteller kann schneller reagieren, Services selbst anbieten und kundenspezifische Angebote unterbreiten. Die Einbindung von Kommunikationswegen wie z.B. das Internet stellt eine unmittelbare Produzenten-Kundenbeziehung her. Über diese direkte Kommunikation fühlt sich de Kunde viel unmittelbarer und enger an die Marke gebunden. Sein „Fachhändler“ wird durch seinen „Autodienstleister“ ersetzt. Die Einbindung der Händler- und Servicestrukturen wird, auf den Kunden abgestimmt, dem Dienstleistungsauftrag des Herstellers gehorchend, vorgenommen. Das ist die radikalste Form der Unternehmensneuausrichtung, wird jedoch den Kundenwünschen optimal gerecht. Die Kundenhistorie liegt jetzt beim Autoproduzenten/Dienstleister, nicht mehr beim Fachhändler und gibt dem Autodienstleister mehr Informationen, weckt aber auch Kundenforderungen, denen man gerecht werden muss. „Generell muss festgestellt werden, dass die Neuausrichtung des Vertriebs- und Servicestrategie für die Autoproduzenten die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre sein wird und über Erfolg und Misserfolg entscheiden wird“, so Dr. Thomas Helbig von Dr. Helbig & Partner. Voraussetzungen sind effiziente Vertriebssteuerungsinstrumente, ausgefeilte, operativ wirksame CRM-Systeme, und ein kennzahlenorientiertes Zielmanagement.
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